Vorwort - Kollege:
Der mächtige Flo Köbisch, unterwegs als Bandnutte für die
WOHL$TANDSKINDER, singt ein Loblied auf Deutschpunk:
D-Punk verrecke!
Mittwoch Nachmittag, Köln, Ringe- so ungefähr Höhe Rudolfplatz. Schlecht
gelaunt schreite ich durch den Sonnenschein. Beim Verlassen der Wohnung
fand ich mal wieder eine dieser Rechnungen im Briefkasten, die ich kaum
Bezahlen kann. Das Konto sieht mies aus, der Monat hat erst angefangen
und neues Geld gibt es die nächsten vier Wochen keins. Bis zur dritten
Mahnung aufstauen, dann ist Monatsende und die bekommen ihr Geld schon.
Locker bleiben.
"Haste mal n' bisschen Kleingeld?"-"Nein"-"Warum nicht"-"Lass mich in
Frieden"-"Arsch, Spiesser".
Diese Begegnung ist meiner Laune nicht zuträglich. Die Person, welche
mich ansprach lasse ich hinter mir. In meinem Kopf sollte er mich aber
noch eine Zeitlang begleiten. Dem Gesicht nach zu urteilen war er ein
Paar Jahre jünger als ich, der frisch gefärbte Iro stand, seine
Lederjacke trug neben akkurat platzierten Nieten Aufnäher- "Anfall",
"Hass", "Schleim Keim". Mit einem weissen Lackstift verziert durch
Parolen gegen Bullen, Gesellschaft, Staat. In seiner Hand ein Reissdorf
Kölsch, 1,50€ beim Kiosk gegenüber, wie mir aus eigener Erfahrung
bekannt ist. Oft genug habe ich dort volltrunken 1,50€ gezahlt und mich
im Nachinein über diesen Wucher aufgeregt.
Freitag Abend, in der Nähe von Bonn, irgendeins dieser JZs. Ein
Liebloser siebziger Jahre Zweckbauten, mit bunten Wänden, ein wenig
dezent platziertem Graffiti, Bravo Postern und einigen Bildern, die
keinen interessieren auf Jugendlich gemacht. Irgendwo steht bestimmt
auch ein Kicker. An der Bar bedienen Mädels, die nicht aussehen, als
hätten sie Spass. Für einen Club zu wenig Atmosphäre, welche versucht
wird durch mangelnde Beleuchtung im Konzertraum zu kaschieren, duch die
Kaskade wird durch die Neonröhren im Vorraum enttarnt.
4€ Eintritt, immerhin drei Bands, von denen man zwei erwartungsgemäss
vergessen kann. Irgendwie müssen die auch mal ne Chance bekommen,
Erfahrung zu sammeln. Wir zahlen, einer meiner Freunde leiht sich kurz
noch 10€ bei mir. Sah schlecht aus bei ihm diesen Monat, aber er
verspricht trotzdem, es morgen zurückzugeben. Bei den schlechtgelaunten
Mädels an der Bar bestellen wir eine Runde Bier, vertreiben uns die
Zeit bis zur ersten Band mit zwei weiteren Runden Bier. Gedeck ist
leider nicht, im JZ gibt es keinen Schnapps.
Langsam füllt sich der Saal. Das Publikum sieht jünger aus als wir. Kein
Wunder, ist ja auch ein JZ und keine Therapiestube für griessgrämige
Endzwanziger. Noch eine Runde Bier, welches für ein JZ recht teuer ist.
Nach vier Runden stört das auch nicht mehr. Im Publikum vorherrschend
eine Mischung aus Kleidung, welche gerne kaputt aussähe, an jungen
Leuten, die auch gerne kaputt oder wenigstens ein bisschen gefährlich
aussähen. Wir finden es eher lustig, waren früher auch mal so- anders,
aber ähnlich. Mittendrin mein Freund von Mittwoch, betrunken, einen
Bierbecher in der Hand. Mit ihm zwei andere. Von der Kleidung her
könnten sie geklont sein, die Frisuren unterscheiden sich nur.
Mindestens drei Dosen Haarspray pro Person, einmal Stacheln, einmal Iro
und einmal Iro mit seitlich herabhängender Nachegburt. Alles in
verschiedenen Farben.
Das Licht wird noch dunkler, dafür das auf der Bühne heller und bunter.
Drei Gestalten schleichen heran, wirken unbeholfen und nehmen sich die
Instrumente. Vielleicht 30 Leute im Saal, hundert würden hineinpassen.
Die Drei auf der Bühne sehen verloren aus, als würde sich keiner trauen
den Anfang zu machen. Bevor der Sänger ins Mirkrofon sprechen kann,
beginnt der Schlagzeuger das Lied und nach drei Takten haben die
anderen auch in selbiges hineingefunden. Der Sound ist wider Erwarten
erträglich, ebenso die Band. Melodiös ohne zu dudeln, Instrumental in
Ordnung auch die etwas krächzige Stimme des Sängers passt.
In jeder Pause brüllen meine drei Uniformierten Freunde mit den bunten
Haaren sinnlose Parolen, aufgeschnappt aus Strassenkampfpunkrock der
frühen achtziger Jahre. "Emoscheisse". Nach einem halben Set verzieh
ich mich auf die Strasse, zur Tankstelle nebenan. Flaschenbier zum
halben JZ Preis, wir drei genehmigen uns einen Schluck, verpassen die
zweite Band und sind bei Nummer drei irgendwann so voll, dass ich mir
später sagen lassne musste, dass die ganz anständig gewesen seien.
Schön.
Irgendwo bei Karlsruhe, mitten im Winter. Seit fünf Tagen sind wir auf
Tour, quer durch die Republik. Der Scheiss Bus gleicht in der Front
einer Sauna, hinten einer Eishöhle. Fahrten sind langweilig, ich sitze
hinten, döse und fühle mich nicht gut. Zu wenig schlaf, zu viel Bier,
schlechtes Essen, Hunger. Die Stimmung untereinander könnte besser
sein. Jeder ist genervt. Jeder für sich und jeder von etwas anderem,
alle ein bisschen voneinander. Du kannst Dich nicht zurückziehen, die
schlechte Laune ausleben, einfach mal Deine Ruhe haben. Eingesperrt in
Kälte und Enge, Stundenlang in einem Bus und draussen vor dem Fenster
Autobahn. Autobahn, die egal wo man ist, immer gleich aussieht, gleich
klingt. Manche lesen, einer hat es geschafft zu schlafen aus den Boxen
kommt irgendwelche Musik, die mir nicht gefällt und zudem zu laut ist.
Ich sage aber nichts. Nur die Ruhe, nicht unnötig Konfliktpotenzial
liefern.
Am Laden angekommen und kein Verantwortlicher, keiner mit einem
Schlüssel, der einen einlassen könnte, nichts. Nur der Bus, wir und das
alles mitten im Schnee. Warten, mal kurz nach Hause telefonieren. "Ja,
in Karlsruhe. Nein alles okay, war super bislang. Du auch. Prima. Nein,
dass mach ich nächste Woche. Ist angekommen, ja. Vielleicht Sonntag,
dann aber spät. Ciao"
Irgendwo kommt ein Typ daher, scheint Nett zu sein, entschuldigt sich,
sagt uns einen Namen, den jeder wieder sofort vergisst und auch wir
stellen uns vor. Wird er sicher auch bald vergessen haben. Drin ist es
einigermassen warm. Es riecht zwar nach verkipptem Bier und
abgestandenem Rauch, aber wir selber reichen wahrscheinlich nicht
anders. Mehr nach Schweiss noch vielleicht, aber das riechen wir längst
nicht mehr. Ausladen, aufbauen, Soundcheck. Schlagzeugsoundcheck, nicht
mein Fall. Bumm, Bumm, Bumm- monotone Schläge erfüllen den Raum und
jeden erdenklichen Winkel im Gebäude. Vielleicht hört man im
Backstageraum weniger, vielleicht ist es da warm und vielleicht stehen
da sogar Brötchen. Warm ist es. Brötchen Fehlanzeige, nur irgendwelche
Süssigkeiten. Ist mir nicht nach. Flyer liegen herum, einer Kündigt das
heutige Konzert an. Wir, "Bullenpenner" und "BRD- Eskalation". Meine
Laune steigt in unvorhergesehene Höhen.
Der Raum ist zum bersten gefüllt. Teils Uniformierte, in Lederjacke,
Iro, D-Punkaufnäher, ansonsten etliche NoFX Shirts und ne Menge H&M.
Dazwischen diese Neuartige Erscheinung auf Konzerten der härteren
Gangart, Mädels, grade mal 18,19 und drunter. Tragen ein Girlyshirt, ne
Menge Nieten, n' bisschen Kajal und sehen so aus, als hätten sie sich
bei Geschäften wie "Pimkie" und Konsorten mit deren "Punk" Outfit
ausgestattet.
Hinter dem T- Shirtstand höre ich mir ertsmal allerlei Beleidigungen an.
Die schlimmste scheint hier "Kommerz" zu sein. Ich frage stets, ob
Bäcker auch "Kommerz" seien, die würden ja Brötchen verkaufen.
"Eure Musik, Kommerz. Alles Scheisse. Das ist "Englischpunk",
"Englischpunk" ist eh kacke, so 77er nicht aber sonst, eh ich bin voll
besoffen, nee ich steh mehr auf Slime, oder so, alles Scheisse eben vor
der Tür, ey viel zu teuer, seid Ihr alles Schuld, Ey ihr Scheisser,
Habt voll die Gagen und so, Daily Terror spielen für ne Kiste Bier,
Alta. Ey Alta und so. Ey und keine Hunde, alta. Und dann Eintritt alta,
Eintritt ist kein Punk, alta. Und die kleinen Kinder, ey Alta." Alta.
Zwei Bierbecher kippen dummerweise in den Karton mit den T- Shirts, und
der Geruch des WCs, das leider in unmittelbarer Nähe zum Eingang liegt
hilft auch nicht gerade dabei, meine Laune zu steigern. Wenigstens
besaufen will ich mich, vielleicht bringt mich das auf bessere
Gedanken. Günstigerweise ist es Bands verboten Bier aus dem Backstage
in den Auftrittsraum zu nehmen, obwohl da auch munter Flaschen und
sogar die eines anderen Herstellers verkauft werden. Sei es drum, man
ist ja nicht dumm. Nur die Wichtigtuer "Ihr dürft hier kein Bier
trinken","Ich kann hier nicht weg" "ist mir egal, hier nicht", "ja,ja,
mach ich nicht mehr". Mach ich natürlich doch.
"Bullenpenner fägt an". Die Uniformen bewegen sich in den Auftrittsraum.
Zäh, nach und nach. Drinnen Musikalisch grenzwertige Darbietungen,
Rhythmuswechsel nur unfreiwillig, die Akkorde wiederholen sich. Anhand
der Ansagen wird erkennbar, wo neue Lieder beginnen. "Das nächste Lied
ist gegen den Scheiss Staat", "Gegen den Krieg im Irak", "Das ist für
alle, die den Bullen mal richtig die Meinung sagen wollen", "OiOiOi",
"Ich bin nicht gegen das System, ich will kein System". Aha. Irgendwas
gegen Nazis war auch noch dabei, bestimmt auch was gegen Spiesser, wie
mich, die armen Schnorrern kein Geld geben wollen. Zwischendurch wird
einer herausgetragen, der in eine Scherbe gefallen ist. Immerhin
machten die Bandmitglieder einen sympathischen Eindruck.
Die nächste Band fällt aus. Unter den Uniformierten macht sich Ärger
breit. Man sucht nach einem Schuldigen. Wie ich weiss, ist einer der
Schlagzeuger ausgefallen. Beim Ausladen den Rücken verknackst,
Krankenhaus. Natürlich sind wir es schuld. Die Herren haben auch ein
Mitteilungsbedürfnis. "Keine Punks" "Kommerz" "Studentenwichser" "Alles
Emoscheisse" "Popperschweine" "Haut ab". Dann wieder von vorn.
Als der Auftritt beginnt ist alles ruhig. Alles ist routiniert, nur
werden die vorderen Reihen plötzlich von übertrieben pogenden
Nietenträgern gestürmt. Nein, die machen das nicht, weil es ihnen
Gefällt. Mehrfache eindeutige Handzeichen gehen Richtung Bühne, die
ersten Becher und Dosen fliegen. Das Schlagzeug bekommt einen
Farbbeutel ab, irgendwo kommt Tränengas her. Es reicht, kein Ton mehr
von der Bühne. Abbruch. Die Uniformierten sind trotzdem nicht
zufrieden, verlassen den Saal und machen vor der Tür weiter, reissen
ihre Autoradios und Ghettoblaster auf: "Deutschland muss Sterben".
Irgendwo tapern vergessene Hunde durch die Glasscherben.
Wir laden ein. Nur weg, zum Schlafplatz. Schön, dass der Bus mit Farbe
beschmiert wurde. Gehört uns ja zum Glück auch gar nicht, nur bezahlen
müssen wir die Lackierung wohl, da gehen sicher die letzten drei Gagen
für drauf. Scheiss Kommerz.
Der Pennplatz ist in einer WG, irgendwo die Strasse runter. Dort ist
auch einer der Uniformierten. Mühevoll seine Zunge kontrollierend,
erklärt er mir, so Leute wie wir, wären das allerlezte, Dreck. Unsere
Musik würde alles kaputt machen, Kommerz. Soweiseo seien nur einige
Bands gut, die er mir aufzählte. Die Bullen seinen auch gekommen, die
seien Schlimm. Man muss was gegen die tun. Und gegen uns. Alle hätten
was gegen Leute wie ihn, nur weil er so aussieht. Dann fiel er um und
seine Lederjacke gab den Blick auf das "gegen Nazis" Bild frei. Aha.
Für Toleranz.
Hamburg, ein Jahr später. Auf einer uninteressanten Party habe ich in
der Küche einen Platz eingenommen und lege es auf Gespräche an, statt
schlafen zu gehen. Drei Herren, gekleidet in Sachen, die sie vermutlich
vor Jahren mal bei einem dieser Katalogversender wo man T- Shirts aller
erdenklichen Bands bekommt, zusammen mit Farbe und den Accessoires für
glaubwürdige Punks bekommt, bestellt hatten, standen einige Meter neben
meinem Gespräch. Hinter ihnen eine kleine Anlage, zur
Küchenbeschallung. Deutschpunk, dazu schlecht. Nach einer Stunde betrat
jemand den Raum, Sportjackenstudent mit Kotletten und der
vorschriftsmässigen Frisur für Garagerockfans. Dies verrieten auch
seine Buttons, mit Bands, die keiner kannte, aber alle einen
Garagebandnamen hatten.
AC/DC und das ganze 20 Sekunden lang. Die drei eben erwähnten Herren
begannen nun lustig rumzupöbeln, den Sportjackenträger zu verhöhnen,
irgendwo zwischen lustig und aggressiv. "Mach die Scheisse aus". Die CD
flog gegen die Küchenwand. "Deutschland...verrecke" und die kleine Welt
in der kleinen Küche schien wieder in Ordnung.
Ich ging dann mal schlafen. FLO KÖBISCH 02/05
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